Ich sehe im leichten Dunkel hier, daß einige unter ihnen ein wenig verrätselt sind. Keine Angst, ich habe nicht vor, diese ganze Rede auf Latein zu halten, obwohl es ja einer Akademie wie der unseren, zumal in der letzten Rede in diesem Jahrtausend, glaube ich gut anstünde, wenn man noch einmal diese alte verklingende Tradition beleben würde, gleichsam ein Schwanengesang. Aber mein Latein ist recht rostig geworden, das Ihre ist es wahrscheinlich auch, sodaß es wahrscheinlich eher ein Rabengekrächse würde als ein Schwanengesang, schlecht zu verstehen und auch schlecht anzuhören, zwei Eigenschaften, die man eigentlich bei jeder Rede, sei es nun feierlich oder nicht, vermeiden sollte. Vor dreihundert Jahren, als diese Akademie gegründet wurde, hätte man sich das nicht leisten können. Da bestand die ganz klare und unhinterfragte Vorstellung, daß ein würdiger Gegenstand, ein würdiger Anlass auch eine würdige Sprache erfordert, und das konnte auf keinen Fall Deutsch sein, vielleicht schon Französisch -aber eigentlich gab es nur eine, nämlich das Lateinische, das man für einen solchen Zweck verwenden mußte. Diese Vorstellung ist Teil einer allgemeineren Denkweise über Sprache und Sprachliches, zu der auch das, was ich hier den AMythos vom Sprachverfall@ nenne, gehört. Es ist dies eine umfassende Vorstellung, die in ihrer klassischen Form zumindest drei Bestandteile hat. Der erste ist die Idee, daß Sprachen nicht gleichwertig sind. Man kann sie in gewisser Weise abstufen. Das ist keine ganz triviale Idee; heute würden die meisten Sprachwissenschaftler sie 1 Dies ist, von der Korrektur einiger Versprecher abgesehen, die unveränderte Nachschrift einer freien Rede, die bei der Festversammlung der Akademie am 25. 6. 1999 gehalten wurde. Ich danke Marlene Jonas für die Transkription der Tonbandaufnahme. 1 wahrscheinlich entschieden bestreiten, obwohl ich mir selbst nicht im klaren darüber bin, ob sie das in ihrer Praxis tatsächlich so meinen. Aber damals jedenfalls hatte man diese Idee. Die zweite Komponente, davon logisch ganz klar zu trennen, ist die Vorstellung, daß das Latein und einige ihm vergleichbare Sprachen den ersten Rang einnehmen. Vergleichbare Sprachen -das sind zum Beispiel Hebräisch, Griechisch, in etwas späterer Zeit bei uns auch das Sanskrit. Die dritte Vorstellung, die davon wiederum zu trennen ist, ist der Gedanke, daß Veränderungen in einer solchen Sprache, also zumal dem Lateinischen, unbedingt Verschlechterungen sind, das es einen Verlust darstellt, einen Verfall der Sprache, wenn sich das Lateinische in irgendeiner seiner Formen verändert. Diese Vorstellungen waren sehr fest. Woher kommen sie? Wie bei allen solchen Mythengeflechten, deren Geschichte und Ursprung sich im Dunkel der Vorgeschichte verliert, kann man das nicht so genau sagen; aber ich glaube, man kann auch hier wiederum drei Ursachen auseinander halten. Die erste dieser Ursachen ist natürlich der Mythos vom goldenen Zeitalter, also die Vorstellung, daß alles früher sehr sehr viel besser war. Wir alle wissen, daß das falsch ist. Wenn man in die Geschichte schaut, ist eigentlich früher fast alles immer sehr viel schlechter gewesen; da wurden die Zähne noch ohne Betäubung gezogen, aber wahrscheinlich bezieht sich diese Vorstellung auf eine Zeit, wo man überhaupt kein Zahnweh hatte und auch auf die Zeit, wo den Menschen die Sprache durch Gott gegeben wurde: es war also gleichsam eine Aheilige
Zeit@. Und dies bringt mich gleich auf den zweiten Punkt, der zur Entstehung dieser Denkweise geführt hat. Diese besonderen Sprachen, zumal das Lateinische, das sind die Sprachen der kanonischen Schriften -im Grenzfall auch der heiligen Schriften; bei Latein kann man letzteres nicht ganz so sagen, obwohl man schon sagen muß, daß im Abendland die Bibel primär in ihrer lateinischen Form gewirkt hat. Es sind aber jedenfalls die kanonischen Schriften, deshalb kommt ihnen wegen des Gegenstandes, auch ein besonderer Status zu. Der dritte Grund ist ganz anderer Art. All diese Sprachen, das Lateinische zumal, haben einen sehr grossen Formenreichtum. Sie kennen das alle noch, man sagt amo, amas, amat, amamus, amatis, amant. Das heisst, ein Wort als bedeutungstragendes Element kommt nicht nur in einer Form vor, sondern in sehr vielen Abwandlungen, und dies ist eine Eigenschaft, die nicht nur dem Latein zu eigen ist, sondern noch in stärkerem Masse beispielsweise dem Sanskrit oder dem Griechischen. Deshalb ist das Abgehen von einem solchen Formenreichtum, wie man es dann zunehmend beobachtet, in jedem Fall ein Verlust. Man kommt von reicheren Formen zu ärmeren Formen; deshalb ist eine Veränderung immer ein Verfall. Dies glaube ich, sind die drei entscheidenden Gründe, die in irgendeiner diffusen Weise hier zusammengewirkt haben. Es hat nichts genutzt. Wenn man sich den Lauf der Geschichte betrachtet, muß man sagen, daß die