Das Bedürfnis nach Philosophie entstehe, so der Jenaer als auch Berliner Hegel, wenn der Verstand Gegensätze aufstellt und nicht mehr in der Lage ist, sie in ein vernünftiges Verhältnis zueinander und zum Absoluten zu bringen. 1 Die...
moreDas Bedürfnis nach Philosophie entstehe, so der Jenaer als auch Berliner Hegel, wenn der Verstand Gegensätze aufstellt und nicht mehr in der Lage ist, sie in ein vernünftiges Verhältnis zueinander und zum Absoluten zu bringen. 1 Die höchste Form von Entgegensetzung lasse sich allgemeinbegrifflich als absolute Subjektivität versus absolute Objektivität artikulieren. Unter seinen Zeitgenossen habe Schelling als Erster diesen Gegensatz aufgehoben, indem er die Idee des Absoluten als an und für sich seiend bestimmte. 2 Bei Fichte bleibe die Subjekt-Objektivität hingegen eine bloß sein sollende, es komme zu keiner wirklichen Einheit des Ich und Nicht-Ich, weil sie im Vorhinein als zwei getrennte absoluta bestimmt werden, die auf eine in die Unendlichkeit gehende unerreichbare synthesis post factum angewiesen seien. 3 Davon ausgehend erkennt der Jenaer Hegel, dass die mangelhafte Lösung der Subjekt-Objekt-Identität auf der Ebene der Prinzipien der Wissenschaftslehre sich durch weitere Teile der Fichteschen Philosophie hindurchziehe. Ein bloßes Sein-Sollen der absoluten Idee hebe die subjektive Seite hervor und stelle sie über die objektive. Damit entstehe eine ungleichmäßige und vom Gegensatz nicht befreite Dominanzkorrelation. Dieses defizitäre subjektivistische Lösungsmodell äußere sich entsprechend in der angewandten Wissenschaftslehre, die Hegel zum Zeitpunkt des Verfassens der Differenzschrift im Jahr 1801 als Naturrechts-(1796/97) und Sittenlehre (1798) kennt. Im Hinblick auf das intersubjektive Verhältnis innerhalb der menschlichen Gemeinschaft im Naturrecht zeige sich die einseitige Dominanz des Subjektiven bei Fichte als Herrschaft und Unterwerfung. Es handele sich dabei zum einen über die beliebige Herrschaft des Einzelnen über Einzelne und die Negation ihrer freien Lebendigkeit, 4 die sich zum anderen in der Unterwerfung aller unter einen "Verstandesstaat" wiederfinde, dessen Volk eine "lebensarme Vielheit" bilde, dessen Zusammenschluss in ein "endloses Beherrschen" übergehe. 5 Die einseitige Subjektivität äußere sich dagegen in der Sittenlehre auf eine intrasubjektive Weise. Das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft kehrt sich nach Innen, das Gebietende ist nicht mehr eine fremde Macht, sondern die eigene Freiheit, die die Natur unterdrückt. Die Subjekt-Objekt-Korrelation steigere sich aus Hegels Sicht in Fichtes Sittenlehre zu einem viel unnatürlicheren Widerspruch, weil die innere Harmonie des Individuums komplett zerstört werde und er den Ausweg aus dieser Nichtidentität nur in der formalen Einheit des Begriffs, dem Ich=Ich finden könne. 6 Hegel hatte also gemäß seiner Fichte-Rezeption zwei Arten des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft vor Augen, die anfängliche intersubjektive aus der Konstellation der Naturrechtslehre und die darauf aufbauende intrasubjektive aus der Sphäre der Sittenlehre. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass er im Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes von 1807 beide in entsprechender Reihenfolge behandelt: "Hierdurch ist die Verdoppelung, welche früher an zwei einzelne, an den Herrn und den Knecht, sich verteilte, in Eines eingekehrt; die Verdoppelung des Selbstbewusstseins in sich selbst". 7 Im Textabschnitt A, der explizit mit "Herrschaft und Knechtschaft" überschrieben ist, liefert die Gemeinschaft vernünftiger Wesen aus der Perspektive des Naturrechtsabstrakt betrachtetdas Thema. Das Problem besteht dabei darin, dass jedes Vernunftwesen ein "gedoppeltes fürs andere [ist]: a) ein freies, vernünftiges Wesen; b) eine modifikable Materie, ein Fähiges, als bloße Sache behandelt zu werden". 8 Im Textabschnitt B geht es um eine Abstraktion aus der sittlichen Gemeinschaft der Vernunftwesen und um drei verschiedene "Schulen" bzw. Möglichkeiten, sich zur eigenen Natur zu verhalten -"[s]ein eigener Herr und Knecht zu sein" und nicht ein "Knecht eines Fremden". 9 Wenn man von der Herr-Knecht-Dialektik spricht, dann meint man zumeist oder ausschließlich den Textabschnitt A, was zwar der Überschrift, nicht aber der Sache nach korrekt istsie umfasst beide Arten in geordneter Reihenfolge. Folgt man aber dieser Konvention, dann muss eingeräumt werden, dass Hegel dort entweder (1) ein intersubjektives oder (2) intrasubjektives Verhältnis oder II Der Machtkampf der Seele mit dem Leib Wenn wir von der Seele und vom Leib sprechen, dann sind wir bei Hegel auf der Stufe der Anthropologie als dem ersten Teil der Geistesphilosophie. Die Logik und die Natur haben sich als der Allgemeinheit der absoluten Idee inadäquat herausgestellt und mussten sich notwendigerweise zum Geist fortentwickeln. 16 Den Schlussstein der Naturbetrachtung bildet dabei ein Widerspruch zwischen der unmittelbaren Einzelheit eines Lebewesens und der Allgemeinheit seines Lebens in der Gattung. 17 Dieser Widerspruch ist das Höchste, zu dem ein Tier gelangt. Es ist ein beständiger Kreislauf, bei dem jedes einzelne Individuum nur ein äußerliches Verhältnis zu seiner Gattung aufbauen kannes empfindet sie, lebt im Rahmen ihrer Bestimmungen und hebt seinen besonderen Unterschied von ihrer Allgemeinheit im Tod auf. 18 Der Mensch kann dagegen aufgrund seiner Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ein Wissen von seiner Gattung erreichen und in das Innere seiner Lebensverhältnisse schauen. Dank dieser Anlage ist er zur Unabhängigkeit von der gegebenen Natürlichkeit bestimmt. Hegel sieht entsprechend in der Idee der Freiheit die prinzipielle Äußerung des Absoluten auf dem Gebiet des Geistes: 19 Das Faktum des Reflexionsvermögens, des Denken-Könnens, verweist auf die Möglichkeit, der Außenleitung der Natur überlegen, im Voraus zu sein. Um diese bloße Potenzialität, Freiheit und Wahrheit zu sein, wirklich zu machen, muss der Geist durch mehrere Schritte zu sich kommen und sich offenbar werden. Das erste Teilziel liegt dabei in der Beendigung des Schlafes in der Natur, oder, anders gesagt, im Übergang von der passiven Außengeleitetheit zur Reflexion über die gegebenen Naturbestimmungen, d.h. von der Seele zum Bewusstsein. Die Natur übernimmt nämlich zunächst die Kontrolle und die Lenkung der tierischen und menschlichen Seele, sie bildet sich in sie hinein. In diesem anfänglichen In-der-Welt-Sein verweilt die natürliche Seele als die Knospe, aus der einst der Geist in seiner Sichoffenbarung hervorgehen wird. Dazu muss eine Reihe von Erfahrungen stattfinden. Im ersten Teil der Anthropologie werden sie zunächst von der Natur und nicht vom Individuum selbst veranlasst. Es findet dabei aber schon eine erste subtile Idealisierung, eine Verarbeitung der Naturgegebenheiten zu Qualitäten statt. Es hinterlassen z.B. die Jahreszeiten und geografische Besonderheiten eine Wirkung, die sich letztendlich an einem einzelnen Individuum zeigt. Die Seele wird aber im höheren Maß durch diejenigen natürlichen Entwicklungen beeinflusst, die zu der Art "Mensch" gehören. So rütteln die Unterschiede der Lebensalter und des Geschlechts 16 6 die Seele langsam wach und versetzen sie in einen fruchtbaren Widerspruch gegen ihre anfänglichen einfachen Bestimmungen. Eine große Rolle spielen ferner die Erfahrungen mit verschiedenen wechselnden Empfindungen, die sie als zufällige und in der Dauer beschränkte ergreifen und mitnehmen bzw. loslassen können: Die Seele beginnt sich als allgemeine und als gegenüber den zufälligen Bestimmungen fürsichseiende zu fühlen oder zu ahnen. 20 Dieses Zwischenergebnis ist wichtig, weil mit ihm der zweite Teil der Anthropologie beginnt, nämlich, in Hegels eigenen Worten, "der Befreiungskampf, welchen die Seele gegen die Unmittelbarkeit ihres substantiellen Inhalts durchzufechten hat, um ihrer selbst vollkommen mächtig und ihrem Begriff entsprechend zu werden". 21 Die Idee der Freiheit setzt sich nun in einer weiteren Reihe der Erfahrungen durch, die sich zu einem Kampf der Seele mit ihrer Naturbestimmtheit zuspitzen. Dass jeder Mensch dem Begriff, der Möglichkeit nach, frei ist, heißt nicht, dass er es auch in Wirklichkeit ist. Die wirkliche Freiheit muss errungen werden, sie ist größtenteils ein Resultat seiner eigenen Bemühungen. 22 Sobald die Seele aus der Natur erwacht ist und zu fühlen beginnt, muss sie ihr Fürsichsein im Kampf gegen die beschränkten Gefühle behaupten, die versuchen ihre Individualität zu bestimmen und auszumachen. Die Signale zu einem Verhalten kommen dabei entweder aus dem Inneren der Seele, als Folgen von entwicklungspsychologischen Prägungen, oder von anderen Individuen, z.B. von Freunden oder Familienmitgliedern. Ist die Seele noch nicht genug gebildet, dann gewinnen diese Signale die Oberhand und sie wird von ihnen bewusst-und verstandlos geleitet. Als geistig Gesunde wissen wir im Nachhinein, dass wir von Außen geleitet wurden. 23 Dagegen entsteht im Zustand der Krankheit der Seele, die sich zur extremen Form der Verrücktheit steigern kann, ein derartiger Widerspruch, dass eine fremde oder fremd scheinende innere Bestimmung die Macht übernimmt, weil sie nicht unter die Gesamtheit der sonst klaren Erlebnisse bewusst subsumiert wird. 24 Je stärker sich die Seele also in der Reihe der Erfahrungen fortbildet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gegen natürliche Bestimmungen durchsetzt und ihre Gesundheit erhält. Das am nächsten gelegene Mittel zur Unabhängigkeit vom Naturleben ist aber die Gewohnheit. Der Leib wird entweder durch die unmittelbaren äußerlichen Umstände oder gemäß den bewussten Wünschen der Seele, durch dauernde Übungen, ausgebildet. Der Widerspruch zwischen der Natur und der Seele nimmt hiermit die Form des Machtkampfes der Seele mit dem Leib an. Erst wenn die Seele sich des Leibes durch Gewohnheiten als ihres eigenen Werkzeugs und Eigentums bemächtigt, ihn dazu 20