Cusanus: Definitio als Selbstbestimmung
Abstract
Prima propositio: Definitio, quae se et omnia definit, ea est, quae per omnem mentem quaeritur. "Jene Definition, die sich und alles definiert, die ist es, die von jedem Denken gesucht wird." Ich bitte um Geduld. Zwar habe ich lediglich vor, mein Verständnis der ersten Proposition 1 jenes Anhangs zum Dialog De non aliud vorzulegen, und diese Proposition scheint in ihrer Unsinnigkeit leicht durchschaubar zu sein, denn, wie soll je ein und dieselbe Definition zum einen sich selbst und gleich auch noch "alles" definieren? Die Bitte um Geduld bezieht sich vor allem darauf, mit der Zustimmung oder Ablehnung zur hier vorgelegten, in der CusanusLiteratur ungewohnten untheologischen Perspektive zu warten, bis die Erläuterung der Proposition einsetzen kann. Denn bis dahin ist ein ungewöhnliches Mass an Vorarbeit nötig und mögliche Bezüge auf die Literatur sind gering. Die Erläuterung der Proposition selbst wird darauf nur wenig Raum beanspruchen. 1. Definitio als Antwort für das "immer gesuchte Erste" Es gibt verschiedene Beispiele der Tendenz zur kurzen und zusammenfassenden Darstellung beim älteren Cusanus. In De venatione sapientiae (1463), hat Cusanus frühere Schriften zusammengefasst, das Compendium (1464) ist als Zusammenfassung gedacht, und auch das Memoriale zu De apice theoriae (1464) ist eine solche. Hier ordnet sich die Folge der zwanzig Propositionen ein, die der Schrift De non aliud nachgestellt ist. Diese Texte sind wohl teils durch didaktische Überlegungen, teils durch den Wunsch nach Übersicht und abschliessender Zusammenfassung des Erkannten bedingt, doch die Propositionen zum non aliud (1462) verdanken ihren thesenartigen Stil abgesehen von solchen vermutlich auch sachlichen Gründen. Die Propositionen scheinen zunächst ein dem Memoriale vergleichbarer Text zu sein, der am Ende des vorangegangenen Dialogs, De apice theoriae, 16, 10, als deren thesenartige Zusammenfassung vorgestellt wird 2 . Doch enthält De non aliud keine vergleichbare Angaben von Cusanus selbst, die einen Hinweis auf das Verhältnis beider Texte gäben. Auch die Überlieferung ist eine ganz andere. Während das Memoriale von Anfang an mit De apice theoriae zusammen gedruckt wurde, ist der Dialog De non aliud, bzw. Directio speculantis, in den ersten gedruckten Ausgaben der Werke des Cusaners gar nicht enthalten 3 ; er fehlte in den dort zugrunde gelegten Manuskripten. Die Abschrift des Dialogs und der Propositionen von H. Schedel (Nürnberg, 6.