Der kybernetische Blick und seine Grenzen. Zur systemtheoretischen Selbstbeschreibung der digitalen Gesellschaft, 2022
Die Systemtheorie positioniert sich in prominenter Weise als eine Sozial-und Gesellschaftstheorie... more Die Systemtheorie positioniert sich in prominenter Weise als eine Sozial-und Gesellschaftstheorie, die sich aufgrund ihrer kybernetischen Denkfiguren und Begriffe besonders dazu eignet, die Digitalisierung der Gesellschaft soziologisch zu deuten. Angesichts dieses Anspruchs reflektiert dieser Beitrag die Bedingungen und Grenzen einer systemtheoretischen Beschreibung digitaler Sozialität. Selbst-und Fremdzuschreibungen der Systemtheorie als Theorie digitaler Sozialität rekapitulierend, betreibt er dazu eine Beobachtung zweiter Ordnung jenes kybernetischen Blicks, der Sozialität generell in funktional-formaler Weise als Prozess der Informationsverarbeitung versteht und Mensch und Computer damit gleichsam symmetrisiert. Es wird herausgearbeitet, dass die Systemtheorie zwar in der Tat gut geeignet ist, eine bereits digital konstituierte Sozialität zu beschreiben, ihr jedoch die Hervorbringung der Unterscheidung von Digitalem und Analogem gerade aufgrund ihrer kybernetisch-digitalen Theorieanlage latent entgleitet. Dies, so die Argumentation, manifestiert sich in einem blinden Fleck der Systemtheorie mit Blick auf Prozesse der Digitalisierung. Zur Bearbeitung dieser Leerstelle schlägt der Beitrag vor, Interfaces als soziotechnische Scharniere, die Analoges in Digitales übersetzen, soziologisch zu fokussieren. Denn erst diese Schnittstellen, so die These, ermöglichen einerseits die Symmetrisierung sämtlicher Entitäten im Register der Digitalität und machen andererseits das nicht-übersetzbare oder-übersetzungswürdige Analoge als "Rest" des Digitalen intelligibel. Eine Sozialtheorie der Digitalisierung ist mithin angehalten zu rekonstruieren, wie eine Gesellschaft ihre analoge Umwelt laufend digital markiert, verarbeitet und schließlich vergisst.
In the socio-theoretical discourse on digitisation there is, among others, a strong sceptical and... more In the socio-theoretical discourse on digitisation there is, among others, a strong sceptical and explicitly critical perspective towards socio-technical developments. The focus of this scepticism is the autonomous subject as the normative guiding value of modern society, which seems to be at stake due to the progress of digitisation processes. Accordingly, there seems to be a broad consensus that these developments will be problematic. However, it is also a possibility that they may not be problematized in social practice. This hardly taken into account by contemporary social theories. In our contribution we would therefore like to plead for a problematisation of this practical de-problematisation. The de-problematisation of human autonomy is not only a possible vision of the future, but, as an already present undoing of autonomy, an empirical object that calls for a theoretical exploration that is not limited to a mere diagnosis of a problem in need of correction. Instead of theoretically assuming that the acting subjects must be interested in their autonomy, our contribution discusses the practical de-problematisation as a real possibility of future dealings with digital technologies and, against this background, pleads for a theoretical problematisation of this de-problematisation, which takes into account the possibility of posthuman social orders.
Prototypen wandern aus den Werkstätten in die Gesellschaft. Sie gelten nicht länger als defizitär... more Prototypen wandern aus den Werkstätten in die Gesellschaft. Sie gelten nicht länger als defizitäre, weil unvollständige Objekte. Vielmehr wird gerade durch das Design des materiell Vorläufigen das gesellschaftliche Übermorgen gestaltet und technologisiert. Die Produktion und Rezeption dieser Artefakte verwandelt sich dabei von einer exklusiven Expertentätigkeit zu einer öffentlichen sozialen Praxis: Prototypen werden in öffentlich zugänglichen Makerspaces hergestellt und in urbanen Eventformaten zelebriert. Sascha Dickel zeigt, dass damit auch eine neue Form der Kritik einhergehen kann, die nicht gegen die Technologisierung des Sozialen opponiert, sondern Wege erschließt, in einer technologisch verbauten Welt alternative Zukünfte zu entwerfen.
Zusammenfassung: Nachhaltigkeit ist ein Konzept mit einer großen Vergangenheit, aber einer ungewi... more Zusammenfassung: Nachhaltigkeit ist ein Konzept mit einer großen Vergangenheit, aber einer ungewissen Zukunft. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den Beiträgen der Soziologie wider. Trotz eines kritischen Blicks auf das von Anfang an kontroverse Feld der Nachhaltigkeitsdebatte hat sie sich mit großem Engagement an der Analyse der gesellschaft-lichen Transformationsprozesse beteiligt, die von der Brundtland-Kommission und der Rio-Konferenz 1992 angestoßen wurden. Aktuell ist eine Soziologie der Nachhaltigkeit mit neuen Herausforderungen kon-frontiert: Sie kann sich nicht mehr auf ein vermeintlich gemeinsames, normatives Leitbild und dessen Umsetzungsprobleme beziehen. Sie muss vielmehr die verschiedenen Praktiken der Nachhaltigkeit sichtbar machen und diese auf deren unterschiedliche Prämissen und ihre jeweilige Strukturwirksamkeit hin befragen. Erst vor diesem Hintergrund können über-greifende normative Ansprüche, die sich gegenwärtig mit dem Leitbild Nachhaltigkeit verbinden, klären lassen. Anspruch und Form der Aufgabe legen es nahe, von einer zweiten Welle der Soziologie der Nachhaltigkeit zu sprechen.
Amongst the many modes of citizen science in the past years, civic technoscience has emerged. Whi... more Amongst the many modes of citizen science in the past years, civic technoscience has emerged. Whilst 'science' tries to explain the world, 'technoscience' tries to construct technological worlds. Whereas citizen science involves publics to contribute to data gathering and interpretation, civic technoscience involves publics in technological world making. By creating prototypes for engineering publics, civic technoscience expands the regime of technoscience into society. The article analyses three different cases of civic technoscience: a FabLab, a for-profit makerspace and a civic hackathon. These cases represent three approaches to civic technoscience: an emancipatory, an entrepreneurial and a science communication approach. Our ethnographic analysis reveals that these approaches need to be considered as ideal types: All our cases were shaped by an entanglement of emancipatory, entrepreneurial and science communication aspirations and practices.
Das politische Leitbild Nachhaltiger Entwicklung mit seiner integralen Ver-knüpfung von globalen ... more Das politische Leitbild Nachhaltiger Entwicklung mit seiner integralen Ver-knüpfung von globalen ökologischen und sozialen Problemlagen und der darin liegenden Vision ihrer Lösung, stiftete für eine Soziologie der Nachhaltigkeit nicht nur den Anlass, sondern zugleich eine dezidierte normative Orientierung. Inzwischen beobachten wir allerdings eine Veralltäglichung und Pluralisierung von Nachhaltigkeit, sodass nicht mehr umstandslos die Gültigkeit einer geteilten normativen Prämisse voraus-setzt werden kann. Die von K.-W. Brand ins Gespräch gebrachte Kennzeichnung einer " zweiten Welle " soziologischer Nachhaltigkeitsforschung greifen wir auf, ohne aber die Normativität des Brundtland'schen Nachhaltigkeitsbegriffs als Prämisse zu setzen, sondern um für die schon in der " ersten Welle " aufscheinende Reflexivität als Integrationspunkt zu argumentieren. Zur Untersuchung von Nachhaltigkeitsphänomenen stellen wir eine entsprechende Heuristik vor. Gewendet als Forschungsprogramm kann dies den Kern einer von Brand in den Raum gestellten " zweiten Welle " der Soziologie der Nachhaltigkeit darstellen. Abstract: The political concept of sustainable development is built on the idea of an integral solution
Dieses Diskussionspapier skizziert, wie die TA die gegenwärtigen Bedeutungen und Wirkungen von Zu... more Dieses Diskussionspapier skizziert, wie die TA die gegenwärtigen Bedeutungen und Wirkungen von Zukunftsvorstellungen in Technikentwicklungs- und Innovationsprozessen begreifen und analysieren kann. Alle Formen technologiebezogener Zukunftsvorstellungen werden im Papier unter dem Arbeitsbegriff „soziotechnische Zukünfte“ zusammengefasst. Als soziotechnische Zukünfte werden sie bezeichnet, da technische Entwicklungen in ihnen immer in Beziehung zu sozialen Veränderungen gesetzt werden. Ausgeführt wird, (1) warum die TA soziotechnische Zukünfte analysieren soll, (2) wie sie diese Analysen ausrichten kann, um erfassen zu können, welche gesellschaftlichen Zustände (z.B. Machtverhältnisse) in den Zukunftsimaginationen ihren Ausdruck finden und wie diese in Prozessen der Technikentwicklung, Kommunikation, Entscheidungsfindung etc. wirkmächtig werden und wirken. Das Papier fragt (3) danach, welche selbstreflexive Verortung und ggf. Neuausrichtung der TA-Praxis durch ihre verstärkte Befassung mit der Bewertung und auch der Mitgestaltung soziotechnischer Zukünfte erforderlich wird. Diese wird gerade im Zuge zunehmender Aufmerksamkeit in Politik und Öffentlichkeit auf zeitlich sowie räumlich weitreichende Zukunftsbilder gefordert.
Das rasant wachsende Interesse am Phänomen des Crowdsourcing (inkl. Crowdworking, Crowdfunding un... more Das rasant wachsende Interesse am Phänomen des Crowdsourcing (inkl. Crowdworking, Crowdfunding und Crowdcreation) verweist auf eine ambivalente Neubestimmung von Massenpartizipation im digitalen Raum: Massen und Mengen galten der klassischen Industriegesellschaft nämlich eher als Störfaktoren sozialer Ordnung. Heute hingegen taucht „die Crowd“ als Lösung für alle möglichen gesellschaftlichen Problemstellungen auf. Der Beitrag geht der Frage nach, wie diese Umdeutung der Crowd zu verstehen ist. Dabei wird die These entfaltet, dass die Crowd im Crowdsourcing durch digitale Infrastrukturen kanalisier- und kontrollierbarer erscheint. Crowdsourcing erlaubt somit eine Ausrichtung bzw. Verwertung der Aktivitäten von heterogen komponierten Crowds für spezifische Zwecke.
Der Buchdruck ermöglichte die Ausdifferenzierung eines modernen Wissenschaftssystems, das in kogn... more Der Buchdruck ermöglichte die Ausdifferenzierung eines modernen Wissenschaftssystems, das in kognitiver Hinsicht auf Offenheit orien-tiert ist. Die Mertonschen Normen können als Selbstreflexion dieser Orientierung an Offenheit interpretiert werden. An ihnen wird sicht-bar, dass sich die zeitliche und sachliche Offenheit der Wissenschaft paradoxerweise durch ihre soziale Schließung als Profession vollzieht. Diese Professionsgrenze wissenschaftlicher Praxis wird durch Open Science in Frage gestellt.
The paper investigates possible connections between neo-materialistic thinking and society. The e... more The paper investigates possible connections between neo-materialistic thinking and society. The empirical case is prototyping as a socio-material practice. The paper reconstructs a) the function of prototypes as material devices to access the future and explores b) how society is increasingly involved in prototyping activities: As prototypes turn into objects of public participation, social phenomena are designed as prototypical objects. Contemporary prototyping practices are an expression of a society captivated by acceleration and innovation. This society may no longer trust the epistemic authority of expert discourses but rather the material evidence of technoscientific demonstrations of emerging technologies. Just like the new materialisms themselves, prototypes invite us to be irritated by the performativity of matter.
Peter Weingart and Lars Guenther suggest that the public's trust in science has become endangered... more Peter Weingart and Lars Guenther suggest that the public's trust in science has become endangered due to a new ecology of science communication. An implicit theoretical base of their argument is that the integrity of science as an institution depends on the integrity of science as a profession. My comment aims to reconstruct and question this specific institutional understanding of science. I argue that trust in technologies of knowledge production might be a potential equivalent to trust in professions.
Soziale Medien wie Facebook sind gegenwärtig ein beliebter Gegenstand kulturpessimistischer Zeitd... more Soziale Medien wie Facebook sind gegenwärtig ein beliebter Gegenstand kulturpessimistischer Zeitdiagnosen. In diesen Diagnosen erscheinen Soziale Netzwerke als virtuelle Welten, in denen eine Kultur der Oberflächlichkeit, der Inszenierung und der Schein-Gemeinschaft institutionalisiert wird. Doch kulturpessimistische Beobachtungen sozialer Netzwerke überhöhen die soziale Form der Gemeinschaft, sie überzeichnen den Trend einer zunehmenden Virtualität des Lebens und sie übersehen die zunehmende Verwobenheit von Netz und Wirklichkeit. Tatsächlich lassen soziale Netzwerke den Konstruktionscharakter sozialer Beziehungen, der in traditionellen Formen des kommunikativen Miteinanders weitgehend verhüllt wird, eigentlich erst richtig zu Tage treten.
Citizen Science is part of a broader reconfiguration of the relationship between science and the p... more Citizen Science is part of a broader reconfiguration of the relationship between science and the public in the digital age: Knowledge production and the reception of scientific knowledge are becoming increasingly socially inclusive. We argue that the digital revolution brings the “problem of extension” — identified by Collins and Evans in the context of science and technology governance — now closer to the core of scientific practice. In order to grasp the implications of the inclusion of non-experts in science, the aim of this contribution is to define a role-set of non-certified knowledge production and reception, serving as a heuristic instrument for empirical clarifications.
Aus dem Blickwinkel der Systemtheorie gilt die Wissenschaft prototypisch als ein selbstreferentie... more Aus dem Blickwinkel der Systemtheorie gilt die Wissenschaft prototypisch als ein selbstreferentielles Funktionssystem, das eine soziale Distanz zur Öffentlichkeit unterhält. In der funktional differenzierten Gesellschaft ist die Inklusionsordnung der Wissenschaft strikt an verberuflichte Leistungsrollen gebunden, während alle übrigen Gesellschaftsmitglieder weitgehend exkludiert werden. Unsere These ist, dass im Zuge des digitalen Wandels neue Inklusionsmuster entstehen. Wir beobachten die Verbreitung funktionalisierter Subrollen, in denen die professionelle Rolle des Wissenschaftlers dekomponiert wird. Eine gesellschaftstheoretisch informierte Beschreibung dieser neuen digitalen Inklusionsprofile leistet zweierlei: Zum einen wird dadurch ein differenzierungstheoretischer Konservatismus überwunden, der Diagnosen einer Öffnung der Wissenschaft lediglich als semantische Oberflächenphänomene deutet. Zum anderen lässt sich analytische Distanz zu dominanten Selbst- und Fremdbeschreibungen gewinnen, die diese Entwicklung als Demokratisierung der Wissenschaft rhetorisch überhöhen.
Schlagworte: Wissenschaftssoziologie; Inklusion; Citizen Science; Web 2.0; gesellschaftliche Differenzierung
Dieser Aufsatz arbeitet anband der Beispiele Web 2.0 und 3D-Druck die wiederkehrenden semantische... more Dieser Aufsatz arbeitet anband der Beispiele Web 2.0 und 3D-Druck die wiederkehrenden semantischen Muster populärer Medienutopien heraus und entfaltet die These, dass der Erfolg dieser Zukunftsvorstellungen auf ihrer direkten Anschlussfähigkeit gegenüber einer Vielzahl an gesellschaftlichen Diskursen fußt. Anschließend werden die Ambivalenzen des digitalen Technikutopismus aus Sicht der Sozialwissenschaften diskutiert.
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Papers by Sascha Dickel
Ausgeführt wird, (1) warum die TA soziotechnische Zukünfte analysieren soll, (2) wie sie diese Analysen ausrichten kann, um erfassen zu können, welche gesellschaftlichen Zustände (z.B. Machtverhältnisse) in den Zukunftsimaginationen ihren Ausdruck finden und wie diese in Prozessen der Technikentwicklung, Kommunikation, Entscheidungsfindung etc. wirkmächtig werden und wirken. Das Papier
fragt (3) danach, welche selbstreflexive Verortung und ggf. Neuausrichtung der TA-Praxis durch ihre verstärkte Befassung mit
der Bewertung und auch der Mitgestaltung soziotechnischer Zukünfte erforderlich wird. Diese wird gerade im Zuge zunehmender Aufmerksamkeit in Politik und Öffentlichkeit auf zeitlich sowie räumlich weitreichende Zukunftsbilder gefordert.
of extension” — identified by Collins and Evans in the context of science and technology governance — now closer to the core of scientific practice. In order to grasp the implications of the inclusion of non-experts in science, the aim of this contribution is to define a role-set of non-certified knowledge production and reception, serving as a heuristic instrument for empirical
clarifications.
Schlagworte: Wissenschaftssoziologie; Inklusion; Citizen Science; Web 2.0; gesellschaftliche Differenzierung
These, dass der Erfolg dieser Zukunftsvorstellungen auf ihrer direkten Anschlussfähigkeit gegenüber einer Vielzahl an gesellschaftlichen Diskursen fußt. Anschließend werden die
Ambivalenzen des digitalen Technikutopismus aus Sicht der Sozialwissenschaften diskutiert.